Anfang im Januar 2011
Thema: Schöpfergott
Wo ist Gott zu finden?
Wie ist er zu entdecken?
Offenbart er sich in der Natur, in der Geschichte oder in den konkreten Ereignissen?
Angeregt durch Eugen Drewermann:
Vom Schöpfergott zur existentiellen Suche
Die Theologie kann Gott nicht mehr in der Welt unterbringen. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften haben ihr fast vollständig die Felder genommen, die sie mit ihren Gottesbehauptungen besetzt hatte. Hinter allem lässt sich kein Gott mehr denken, der in seiner Allmacht alles kreiert und steuert.
Dazu Eugen Drewermann in Publik-Forum (PF 2/2011, S.33 ff):
Ein Ort der Verlorenheit
Die projektive Außenverlagerung gelingt nicht mehr. Sie verhinderte schon immer den eigentlichen Zugang. Aber sie ist gängige Dynamik in den Religionen. Diese leben aus der Sehnsucht der Menschen, Halt und Orientierung zu finden in Gestalten und Kräften des Jenseits. Sie haben Systeme entwickelt, um diese Sehnsucht aufzugreifen und zu verwalten.
So sind die Menschen stärker denn je auf sich selber zurückgeworfen. Ihre existentielle Suche tritt immer mehr in den Vordergrund. In der Wahrnehmung der Welt gibt es keine Vorgaben mehr. Für die Fragen des Lebens gibt es keine absoluten Antworten mehr. Die Angst, die in allem steckt, lässt sich nicht mehr beruhigen durch die Realität überhöhende Aussagen.
Wie lassen sich Erfahrungen des Vertrauens machen, eine Entwicklung aus dem Selbst ermöglichen und zu einer solidarischen Mitmenschlichkeit finden?
Der Zugang zu Gott ist dabei, sich entscheidend zu verändern.
Jetzt können die Motive und Bilder der Religionen als Impulse aus dem Innern verstanden werden und nicht als äußere Offenbarungen.
Was bedeutet das für die geltenden Systeme und die noch gültige Praxis?
Im Glauben kann Gott nicht vorausgesetzt werden. Wird Gott vorausgesetzt, so wird ein Teil der Wahrnehmung abgetrennt und verselbständigt.
In Gott kann ich eintauchen, mich in seinem Kraftfeld bewegen. Ich kann eine Beziehung zu ihm herstellen und in diese Beziehung meine ganze Existenz investieren. Je mehr ich alle meine Seiten und alle meine Kräfte miteinbeziehe, desto mehr öffnet sich die Suche für die Zuwendung, die mir entgegenkommt. Meine Fragen und meine Anliegen können in ihrer eigentlichen Bedeutung zur Geltung kommen.
Alle Kräfte meines Unbewussten werden nach einer Lösung suchen. In den Träumen der Nacht und in Inspirationen am Tage werden sich Lösungsangebote zeigen.
Jedoch darf Gott nicht mit der Aktivität des Unbewussten verwechselt werden.
Träume sind Verarbeitungsprozesse des Gehirns, in denen Erlebtes nachwirken und sich auswirken kann. Gott kann als das Licht gesehen werden, das diese Prozesse beseelt. So wie die Menschen in ihren Beziehungen zu einander gedeihen können, so können sie in der Beziehung zu Gott zu ihrem wahren Wesen finden.
Was aus dem Unbewussten kommt, ist nicht vom Himmel gefallen. Es sind Früchte der seelischen Kreativität. Wer jedoch den Himmel sucht, erntet Früchte, die den Himmel in sich tragen.
Gott kann als die Weite gesehen werden, in die hinein sich unsere Enge öffnet. Jedoch erst, wenn wir uns selbst öffnen, verändern wir die Seele so, dass sie die Weite in sich aufnimmt. Es geht darum, dass sich die Erfahrungen mit Gott in unserer Seele verwirklichen.
Es hilft nichts, wenn wir nur äußerlich an Abläufen teilnehmen.
Bekenntnisse sind wohl eher formelle Darbietungen, die eine Dazugehörigkeit beschwören sollen. Sie sind kaum existentielle Schritte. Sie sind für die Außenwahrnehmung gedacht. Selbsterkenntnis ist der mühevolle und leidvolle Weg zur Veränderung von innen her. Dazu brauchen wir tiefes Vertrauen und barmherziges Verstehen. Das ist die Voraussetzung, die wir mit Gott in Verbindung bringen können.
Hinter einer projektiven Außenverlagerung steht die Angst, in den Abläufen der Natur verloren zu gehen.
Eine Macht, die stärker ist als die Natur, soll davor bewahren. Die existentielle Angst gehört aber zur Offenheit inmitten dieser Welt dazu. Sie ist Ausdruck der Schutzlosigkeit des Bewusstseins. Dieses hat die Unmittelbarkeit der Wirkungen verlassen und ist heimatlos geworden. Es steht dauerhaft in der Gefahr, sich selber aufzugeben und an eine vermeintliche Instanz im Einzugsbereich der Welt zu delegieren. Es verliert damit einen Großteil der Chance, zunehmend mit allen seinen Aspekten aufzuwachen.
Die Dynamik der Projektion bildet hartnäckig eine Täuschung, eine Selbsttäuschung.
Die Selbsttäuschung versucht sich selber aufrecht zu erhalten und sucht fortlaufend nach einem Konzept, das überzeugen soll. Sie überlistet die Wahrnehmung und muss sich verteidigen gegen Infragestellungen. Sie sucht nach Bestätigung und nach einem Umfeld, das sie unterstützt. Sie ist bereit, ihre ganze Energie hinein zu geben in ein System, das sie aufnimmt und unterbringt in ihren eigenen Inszenierungen.
Religiöse Institutionen werden also genährt von der angstgetriebenen Projektion ihrer Mitglieder.
Es braucht energische prophetische Kraft, um Menschen in solchen Systemen wach zu rütteln.
In der prophetischen Stimme sammelt sich das verstellte Leben und wagt sich an die Oberfläche. Die Reaktion der Abwehrkräfte wird nicht auf sich warten lassen. Aber es beginnt ein Prozess der Aufweichung ihrer Überzeugungsarbeit. Denn das Nichtleben in der Täuschung wird konfrontiert mit dem Lebenskeim der herausfordernden Wahrheit.
Mut zum Leben aus der Tiefe wird spürbar sowie Trost und Hoffnung auf eine erfüllte Zukunft. „Fürchtet euch nicht!“ist der Zuruf, der die Angst überwindet. Die Zeit wird kommen, in der die Menschen die Freiheit gewinnen, sich aus den Verstrickungen heraus zu winden.
Keine Projektion und Täuschung sind Symbole und Mythen in ihrer Kraft, die Seele zu aktivieren.
Symbole und Mythen vergegenwärtigen Urerfahrungen der Menschwerdung. Möglicherweise auch Erlebnisweisen des Lebens überhaupt. Sie machen den langen Weg der Evolution und der Bewusstwerdung zugänglich und nachvollziehbar. Sie erschließen ihre lebensbewältigende Wirksamkeit. Nur, wenn ihre innere Mitteilung nach außen verlagert und zu Aussagen über die Realität umgeformt wird, verlieren sie ihre eigentliche Bedeutung und werden zu Instrumenten einer projektiven Sinngebung. Ihre poetische Stärke lässt sich am besten in reflektiver Selbsterfahrung wirksam erschließen. Sie können den Menschen an den Horizont seiner Existenz heranführen und die Ermutigung mitgeben, mitten ins eigene Leben, in die Realität, in die Beziehungsfelder hineinzugehen. Sie wollen nichts vorschreiben, sondern beispielhaft und verdichtet gelungenes Leben anbieten als Impuls, das Abenteuer der existentiellen Suche zu wagen.
Hört die Projektion auf, so kann die Realität und eben auch die Natur so, wie sie ist, wahrgenommen werden.
Hat der Mensch seine existentielle Spur gefunden, kann das Erleben von Naturphänomenen ein großer Reichtum sein. Statt Projektion findet Resonanz statt.
Wir kommen aus der Natur, und ihre hervorbringenden Kräfte sprechen in uns das unbewusste Wissen darüber an. Momente von Einssein mit der Natur lassen eintauchen in die alten Wirkungskräfte, mit denen wir existieren. Dann brauchen wir die Natur nicht mehr zu vergöttern. Und daraus kann ein Interesse wachsen, sie besser zu verstehen. Dieses Verstehen kann die Seele weit machen und neugierig auf die Tiefe der Existenz. Wenn die Natur die „Erde“ ist, dann öffnet die existentielle Suche mit all ihren Möglichkeiten das Tor zum „Himmel“.
Die existentielle Suche hat Jesus von Nazareth auf den Punkt gebracht.
Es geht darum, in der Suche zu bleiben. Die Projektion schließt die Suche aus. Wer projiziert, hat schon gefunden. An die Stelle der Offenheit schiebt sich eine vermeintliche Gestalt oder eine Aussage. Es bildet sich ein Schirm, der Sicherheit und Geborgenheit verspricht. Dieser Schirm kann zur Glocke und zum Gewölbe werden je nach Erstarrung dieses Gebildes. In all dem kann jedoch eine verborgene Botschaft liegen, die ihre Sprache verloren hat. Wenn es gelingt, sie zu verstehen und an den Ursprung zu gelangen, wird hinter Angst und Verletzungen die existentielle Sehnsucht sichtbar, aus der die Suche gespeist wird.
Es geht immer um die ganze Existenz.
Diese erschließt sich aus ihrer Mitte heraus und die Mitte entsteht durch die Beziehung zu Gott. Voraussetzung ist das Loslassen äußerer Abhängigkeiten. Das außen Gesuchte wird dabei als Erfahrung nach innen genommen und dort aufbewahrt und aktiviert. Abschied und Trauer sind die zu bewältigenden Prozesse. Jetzt sind die Möglichkeiten des Erlebens erweitert. Es kann durchaus Angst machen, da hindurch zu gehen. Statt aktiv die Phase zu durchleben, wird passiv die Herausforderung nach außen delegiert. Jetzt wandelt sich die Aufgabe in eine Erwartung von außen. Die alte Abhängigkeit wird ersetzt durch eine neue. Die Welterfahrung wird geprägt von diesen Beziehungsmustern und verfängt sich in unzähligen Wiederholungen.
Eine Projektion kann nur in kleinen Schritten in die existentielle Suche übergehen.
Oft werden lange im Leben äußere Stützen gebraucht. Loslassen setzt die Ermutigung voraus, den Weg von innen weiter zu gehen. Die erste Herausforderung ist, in die Welt hinein zu gehen und das Elternhaus zu verlassen. Die spätere Herausforderung ist, von der Welt als Zuhause Abschied zu nehmen und sich auf einen inneren Weg zu machen. Zunächst geht es darum, ein eigener Mensch zu werden, und später darum, sich selber los zu lassen und zu öffnen für dichte existentielle Erfahrungen.
So wird Gott lange Zeit als äußere Gestalt vorausgesetzt wie die eigenen Eltern. Nach und nach kann die Versorgungsabhängigkeit übergehen in das Vertrauen, vom Leben versorgt zu werden und schließlich das Leben selber aufzunehmen.
Wenn Gott nicht mehr außen vorausgesetzt sondern von innen gesucht wird, kann im eigentlichen Sinne der Mensch erst geboren werden.
Von der Mitte aus, die aus der eigenen Hingabe und Öffnung lebt, kann die Welt ganz neu erlebt werden. Sie wird durchsichtiger und zugänglicher. Das bedeutet, eine Gotteserfahrung ermöglicht eine tiefe Welterfahrung. Gott wird nicht in der Welt erfahren, sondern die Welt wird durch Gott in ihrer Wirklichkeit erfahren.
Gott ist also nicht mehr der Rettungsring, der uns zugeworfen wird, wenn wir im Wasser zu schwimmen versuchen und unter zu gehen drohen. Gott wird im Schwimmen selber erfahren als die tragende Kraft, als die Wirkung der Bewegung und als die Öffnung der Wahrnehmung durch die Bewegung.
Oft ist zu hören, Gott sei das letzte Geheimnis. Dann wäre er wie eine Schatztruhe, in der die besten Schätze aufbewahrt werden. Keiner holt sie heraus, es ist nur wichtig, dass sie da sind. Die Phantasien, die sich darum ranken, können sich frei austoben. Aber schnell werden Behauptungen aufgestellt und Bestimmtheiten postuliert. Über deren Auslegung ließen sich endlose Werke schreiben. Wäre die Schatztruhe leer und keiner wüsste es, es machte keinen Unterschied.
Ein Prophet würde die Schatztruhe öffnen und die Schätze verkaufen oder besser verschenken. Dann würde sich zeigen, was sie wert sind. Es gäbe keine Schätze mehr.
Aber ihre Wirkung könnte sich ausbreiten.
Nichts mehr bleibt und doch erschließt sich alles in der Suche.
Wenn wir die Natur naturwissenschaftlich verstehen bis zu den Ausgangswirkungen, hat das natürlich Auswirkungen auf das Grundempfinden. Die Naturwissenschaften können und wollen auf die Grundfragen der Existenz keine Antwort geben. Das ist nicht ihre Fragestellung. Aber, wenn sie ernst genommen werden, bedeutet das einen Verlust subjektiver Verankerung in der Welt. Bodenlosigkeit, Heimatlosigkeit tauchen als Bedrohung auf. Es sind Abschiede von einem Zuhause. Auch wenn schon manche Abschiede im Leben genommen worden sind, kann das noch einmal ein sehr tief gehender Abschied sein. Letztlich ist es der Abschied von einer Selbstvergewisserung, der Abschied von einer Außenverlagerung der Existenz.
Die Natur wird wohl als das Wirkfeld unserer Herkunft angesehen werden können.
Sie selber hat ermöglicht, dass sich Lebewesen aus ihrer unmittelbaren Dynamik heraus entwickelt haben mit der Energie und mit den Impulsen, die sie ihnen mitgegeben hat. Das heißt, dass die Natur nicht festlegt, was sich in ihr und aus ihr entwickelt. Denn sie selber ist in sich nicht festgelegt. Das Leben, das sich heraus entwickelt, bildet einen eigenen Kontext. Es bilden sich Ebenen übereinander mit eigener Dynamik. Jede Stufe ist für die nächste Voraussetzung, aber nicht kausal. Kosmos, Evolution und Mensch. Wird eine untere Stufe weggenommen, nimmt sie alle höheren mit. Der Kosmos nimmt also bei seinem Ende alles Leben und den Menschen mit. Die Zerstörung des Lebens nimmt auch den Menschen mit. In unserer menschlichen Existenz taucht die Erlösung aus diesem Schicksal auf. Die Zukunft ist im Eigentlichsten nicht mehr abhängig von den Voraussetzungen, weil sie aus einer anderen Dimension kommt. Das ist die Offenheit der existentiellen Suche.
Es ist sehr hilfreich und interessant, den langen Weg unserer Herkunft nachvollziehen zu können. Das kann zu einer neuen Vertrautheit führen mit der Wirklichkeit, wie sie in ihren Licht- und Schattenseiten sich uns darbietet. Das können wir aber erst, wenn wir in unserer existentiellen Suche nicht mehr von ihr abhängig sind.
Die menschliche Existenz ist ausgespannt zwischen Herkunft und Zukunft.
Die Außenverlagerung der menschlichen Existenz ist womöglich der Wunsch, der Versuch, die Zukunft bereits in der Herkunft unterzubringen. Statt einer Öffnung ereignet sich eine Regression. Zukunft durch Festhalten der Herkunft. Wenn die Zukunft, also Gott, schon vor aller Herkunft ist, brauchen wir nicht wirklich uns in die Dichte des Kommenden hinein zu wagen. Die Erfahrungen der Bibel sprechen laufend von Heimaten, die verlassen werden um einer Verheißung willen. In der existentiellen Ausnahmesituation der Wüste werden Schritte geboren, sie zu verwirklichen.
Die Projektion ist womöglich der Versuch, den Werdegang des Lebens in die Zukunft hinein abzukürzen. Utopien und Ideologien enthalten wohl noch nicht gelebtes Leben, das nicht durch die Mühen des Werdens gehen will. Enttäuschung der Täuschungen lassen Keime entstehen, die mitten im Leben das Leben zu sich selber kommen lassen und damit öffnen.
Nur mit der gesammelten Erfahrung unserer ganzen Herkunft können wir in die Sehnsucht eintreten, um empfänglich zu werden, zu spüren, zu fühlen und zu verstehen, was geschieht und wird und kommt.
Viel mehr lässt sich im Moment nicht zur existentiellen Suche sagen in Auseinandersetzung mit der Schöpfungstheologie. Ende 1. März 2011
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